Neue Betonnormen mit europäischen Zielen und nationalen Interessen

Was erwartet den Betoningenieur?

 

Prof. Dr.-Ing. Rolf Breitenbücher VDB, Ruhr-Universität Bochum

 

 
 

Die bisherigen Betonnormen sind bislang stets so konzipiert, dass die darin enthaltenen Regelungen grundsätzlich für alle Betonanwendungen maßgebend sind, unabhängig davon, ob es sich um eine einfache Hochbaumaßnahme oder ein komplexes und hoch beanspruchtes Ingenieurbauwerk handelt. Diese „Vereinheitlichung“ wird bisher auch auf europäischer Ebene praktiziert, wenngleich die europäische Betonnorm EN 206 nicht zuletzt aufgrund klimabedingten, regional sehr unterschiedlichen Einwirkungen auf Betonbauteile, aber auch aufgrund unterschiedlicher „Bautraditionen“ entsprechende Öffnungsklauseln enthält. Letztere sind in der Vergangenheit in Deutschland großzügig genutzt worden, um im nationalen Anwendungsdokument (DIN 1045-2) alle aus nationaler Sicht für das Erreichen der notwendigen Betonbauqualität erforderlichen Festlegungen einzubringen.
Die fortlaufenden Veränderungen in der Betontechnologie verbessern auf der einen Seite die Verarbeitbarkeit und erweitern die Einsatzbereiche von Beton. Andererseits zeigt sich dadurch auch zunehmend, dass die Betone für bestimmte Anwendungen empfindlicher für „Störeinflüsse“ werden. Während sich dies bei herkömmlichen Betonen und Anwendungen nahezu nicht auswirkt, d. h. der Beton entsprechend robust ist, können bei anderen Einsatzgebieten bereits geringe Schwankungen in den Ausgangsstoffen oder der Zusammensetzung zu erheblichen Beeinträchtigungen führen.
Daher ist das bisherige Normenkonzept mit einheitlichen Regelungen für alle Betone zu hinterfragen. Würden alle für anspruchsvolle Betonanwendungen notwendigen Regelungen auf das gesamte Betonvolumen angewendet, wäre dies ökonomisch schwer zu vermitteln, zumal für rd. 70 % bis 80 % der gesamten Betonproduktion einfache Regeln ausreichen. Umgekehrt sind für besondere Anwendungen weiterreichende Anforderungen zwingend notwendig, will man häufige Probleme auf der Baustelle bzw. im Bauwerk vermeiden.
Bei der Erarbeitung der neuen DIN 1045-2 als nationale Ergänzung zur EN 206 (2014) kamen diese Diskrepanzen klar zum Vorschein, sodass Ende 2014 keine abschließende Einigung zum vorliegenden Entwurf der DIN 1045-2 erzielt werden konnte. Hinzu kommt noch, dass – bedingt durch das jüngst getroffene EuGH-Urteil – der bisher großzügig praktizierte Umgang mit Öffnungsklauseln in europäischen Regelwerken auch massiv eingeschränkt wurde. So kam man bei diesen Diskussionen zur Auffassung, dass das bisherige Konzept der Betonnormung ganzheitlich auf den Prüfstand zu stellen sei.
Ziel eines neuen Konzepts muss es sein, auf der Grundlage der bestehenden und einheitlich beizubehaltenden Anforderungen an die Bauwerkssicherheit je nach Bauwerk und Anwendung Maßnahmen zum Erreichen einer definierten Qualität festzulegen. Die Klassifizierung von Qualitätsanforderungen muss dabei alle Bereiche des Betonbaus (Planung, Baustoff, Ausführung) abdecken. Für einige Anwendungen existieren bereits solche übergreifenden Regelungen, die die Interaktion zwischen allen Bereichen definieren (z. B. DBV/VDZ-Merkblatt „Sichtbeton“; DAfStb-Richtlinie „Massenbeton“). Über verschiedene Stufen so definierter „BetonBauQualitäten“ (BBQ) sollen dann anwendungsspezifisch gestufte Regelungen, die aufeinander aufbauen, festgelegt werden. Solche gestuften Klassensystematiken gibt es zum Teil schon in erweiterter Form (z. B. EN 1990), allerdings fehlt eine sinnvolle Verknüpfung untereinander.
Diese Verknüpfungen herzustellen ist Hauptaufgabe der Betonnormung in den nächsten Jahren.

 

 
 

Prof. Dr.-Ing. Rolf Breitenbücher studierte bis 1982 Bauingenieurwesen an der TU München. Nach kurzer Zeit in einem Technischen Büro war er von 1983 bis 1992 als wissenschaftlicher Mitarbeiter, Akademischer Rat bzw. Oberrat am Lehrstuhl für Baustoffkunde und Werkstoffprüfung der TU München tätig, wo er 1989 promoviert wurde. Zwischen 1992 und 2002 leitete er das Zentrale Baustofflabor der Philipp Holzmann AG und war gleichzeitig Geschäftsführer der Philipp Holzmann Bautechnik GmbH. Seit 2003 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Baustofftechnik an der Ruhr-Universität Bochum.